Wien, 26.3.2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
willkommen zur allerersten Ausgabe eines Newsletters, den es nun schon zum 35. Mal gibt. Klingt kompliziert, ist es aber nicht: Wie du vielleicht, vielleicht aber auch nicht weißt, war Brief & Sigl ein zweiwöchiger Newsletter für UnterstützerInnen von Wasted. Auch wenn dieses schöne Projekt leider nicht fortgeführt wird, soll es weitergehen, und zwar hier. (Wenn du direkt von Wasted hierhergekommen bist: Welcome back! Oder, wie man bei uns in Österreich sagt: Setz dich her, schneid dir ein Brot herunter.)
Neuanfänge bringen Neues, und das soll’s hier geben, auch wenn ich nach wie gesagt 35 Briefen schon so ungefähr eine Ahnung habe, wo die weitere Reise hinführen wird. Es soll weiterhin hier eine Art Videospieldiskurs geführt werden, der sich um Kleines, Großes, Offensichtliches, Verstecktes, Aktuelles oder aber auch absolut Nicht-Aktuelles im weiten Feld der Videospielkultur dreht.
Verstärkt möchte ich dir, liebe Leserin lieber Leser, auch handfeste Games-Empfehlungen ans Herz legen; dazu werde ich mir erlauben, hin und wieder auch auf Stellen im Netz zu verweisen, an denen ich sonst so was zu reden oder schreiben hatte.
Brief & Sigl bei Wasted war ein schönes Projekt, das Einzige, was mich daran immer ein wenig betrübt hat, war die Exklusivität seines Leserkreises und seine Existenz hinter der Paywall. Das ist zum einen der Grund, warum ich hier einmal vorerst ohne Subskription bzw Bezahlung drauflos schreiben möchte (wer unbedingt will, darf mir vielleicht in naher Zukunft mal freiwillig etwas zukommen lassen). Zum anderen ist es aber auch der Anlass, ein paar der Texte, die ich seit November 2021 für das Format schon geschrieben habe, jetzt, in diesem ersten Brief im neuen Format, nochmal kurz auf die Bühne hier zu schubsen.
Das Archiv ist selbstverständlich als Ganzes offen und frei lesbar; ich empfehle euch aber hier, in der ersten Ausgabe im neuen Heim, ein paar der Texte besonders. Die waren, bei aller Bescheidenheit, immer schon fast ein wenig zu schade, um hinter hohen Mauern zu versauern.
Auf der Palme ging letzten September der Frage nach, warum wir Videospielmenschen uns immer noch gar so leicht davon triggern lassen, wenn jemand etwas Gemeines über uns und unser Hobby sagt:
Steigt bei dir auch schon der Puls? Nähern sich vom Rand des Gesichtsfelds schon blutrot wabernde Grafikeffekte? Formiert sich in dir der unbändige Drang, sofort per (wahlweise) a) ätzendem Sarkasmus, b) einer Linksammlung zu 26 Studien über die positiven Auswirkungen von Videospielen c) wüsten Morddrohungen oder aber d) höflichem Widerspruch, angereichert mit eigenen Games-Anekdoten zu reagieren?
Macht süchtig!!1 warf einen Blick auf das seltsame Verhältnis zwischen uns und Spielen, die uns an sich binden:
Statt von Sucht reden wir lieber von Faszination, Verliebtheit, Begeisterung, aber es ist ein Fakt: Es gibt Menschen, die anfälliger sind, auch bei Spielen in „problematischen Konsum“ abzugleiten. Wir kennen solche, wir wissen, dass es das gibt, wir verurteilen aber nicht das Medium dafür, weil wir differenzieren können. Ein bisschen süchtig machen ist ok, oder?
In Okkult & Esoterisch habe ich über die Freuden des Verirrtseins geschrieben:
Es ist eine nostalgische Erinnerung an die Frühzeit meines Spielerlebens: all die Nachmittage, an denen ich keinen Tau hatte, was ich da mache, aber trotzdem fasziniert und begeistert dabei war, genau das herauszufinden. Geduldig, durch Versuch und Irrtum sowie aufgeregten Austausch mit den ähnlich ahnungslosen Freunden am Schulhof tags darauf. Das Spiel war nicht nur Spiel, sondern als Ganzes ein mysteriöses Artefakt, das enträtselt werden wollte; und draufzukommen, wie das Ding denn nun überhaupt zu bedienen war, war oft sogar spannender, als dann tatsächlich seine Aufgaben zu bewältigen.
Counter-Culture ging dem Rätsel nach, warum sich im größten Popmedium des Planeten nur wenige Spuren von Gegenkultur finden lassen:
Bedingt das unbeschreiblich rasante Wachstum des globalen Publikums einfach einen Mainstream, der so reißend wächst und anschwillt, dass daneben keine Counter Culture Platz findet? Kann sich keine Gegenkultur bilden, weil die Menschen, die daran Interesse haben könnten, samt ihrem möglicherweise interessierten Publikum dem Medium vom Erwachsenenalter samt Arbeitsleben und Windelwechseln wieder entrissen werden?
In Europäisches Mittelalter made in Japan war das Exotische, aber zugleich überraschend Authentische am europäischen Mythensetting von Dark Souls & Co Thema:
In diesen Texten, wenn man sie denn liest, geht es oft darker zur Sache, als ein Jahrhundert an Robin Hood-Verfilmungen und Mittelalterfesten samt Dudelsack-Mittelalter-Goth-Bedröhnung glauben ließe. Es gibt Geschichten von magischen Kesseln, aus denen die Leichen in der Schlacht gefallener Krieger wieder zum untoten Leben erweckt werden. Es gibt magiebegabte Menschenfresserkönige, die ihre ständigen Schmerzen nur lindern können, wenn sie täglich im Blut ihrer Untertanen baden. Es gibt ganze Königreiche voller lebender Toter. … Es gibt mörderische Geheimagenten, die sich die Haut getöteter Feinde überstreifen, Könige, die sich in Tauchkapseln an den Meeresgrund versenken lassen, Völker von Kopffüßern, Hundsköpfige, Riesen. (Dass es eine ganze Menge an POC in diesen Werken gibt, ist dabei noch das am wenigsten Überraschende, zumindest wenn man keine Agenda hat.)
Wenn du, liebe Leserin, lieber Leser, von Wasted hierherkommst, hast du das alles schon gelesen; sorry. Allen Neuankömmlingen mag diese kurze Liste als Hinweis (und Vorwarnung) dienen, worauf sie sich hier einlassen.
Ja, das ist ein erster Brief, der ein bisschen anders ausfällt als die, die noch kommen werden. Nächstes Mal mit weniger Eigenzitat und mehr steiler These, kühner Behauptung und absurder Assoziation. Versprochen.
Schön, dass du das hier liest. Wir starten ins New Game+.
Dein
Rainer
Bild: Midjourney, Prompt: Crowd of videogame antiheroes, stacked, by Hieronymus Bosch, epic, sparse Vegetation, isometric
Freu mich auf den Newsletter hier! Fand WASTED als Projekt zwar interessant, aber einfach zuviel neben meinen Gaming-Podcasts Abos. Höre Dich dort immer gerne (Earlybirds und Pile of Fame) und freu mich jetzt auf mehr in Textform :-)