Wien, 9.6.2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielleicht spielst du ja schon längst die neue Skinnerbox von Blizzard, in dem Fall: You do, you. Nichts liegt mir ferner, als Menschen den Spaß daran verderben zu wollen, auch wenn ich selbst froh bin, nach meinen Rezensionsstunden Diablo IV wieder links liegen lassen zu können. Warum ich nicht Diablo spiele, habe ich schon 2012 ausgiebig dargelegt; ich sehe nichts am aktuellen Teil, was meine damalige Meinung irgendwie geändert hätte.
Falls du allerdings noch nicht zu den Millionen gehörst, die mit glasigem Blick die Nacht hindurch Monster totklicken und zwischendurch auf Social Media von ihrer großartigen Sucht schwadronieren, ist es durchaus möglich, dass du ein bisschen am Schwanken bist. Die Versuchung ist groß, doch noch zuzuschlagen, auch wenn man gar nicht so überzeugt ist. Zum einen natürlich wegen FOMO, der Angst, etwas zu verpassen, zum anderen wegen der hymnischen Besprechungen, die allerdings, mal ehrlich, in ihrer Begeisterung hin und wieder die Grenze zur Blödheit mit Schallgeschwindigkeit durchbrechen.
Falls du also knapp davor bist, dir vielleicht sogar nur halbherzig und mit Widerwillen das böse rAuScHgiFt fett in die Venen zu pumpen, halte noch ein bisschen aus! Ich bin hier, um zu helfen, denn das hier ist ein Brief mit News You Can Use. Und nein, ich werde nun nicht all die rationalen Gründe aufzählen, warum die seelenzerfressende Leere im Herzen dieses einarmigen Klickbanditen schlecht für dich ist, sondern stattdessen lieber ein paar alternative Spiele aufzählen, die deine Aufmerksamkeit eigentlich viel mehr verdient hätten. Gern geschehen.
Eins vorweg: Natürlich ist keines der in Folge genannten Spiele ein Ersatz für den millionenschweren Hochglanzklickathon. Stattdessen sehe ich die folgenden Verweise eher als Reminder daran, dass es anderes gibt - zum Teil: grundlegend anderes -, mit dem die eigene Lebenszeit eventuell besser verbringbar wäre. Nämlich zumindest so, dass man nicht nach hunderten Stunden Auto-Flowpilot wie nach einer Sauftour voll bitterer Reue wieder aufwacht und seine Lebensentscheidungen grundlegend in Frage stellen muss.
Zum einen ist da natürlich das großartige Remake von System Shock, das jede Minute der Beschäftigung damit wert ist. Falls du nicht mehr über das Freizeitbudget eines papafinanzierten Soziologiestudenten im zehnten Semester verfügst, ist der Trip zur Citadel Station eventuell eine sinnvollere Investition begrenzter Lebenszeit als der siebenundachtzigste Loot-Verkaufstrip nach Kyovashad.
Auch wer Amnesia: The Bunker spielt, kann sich nicht darüber beklagen, dass Stunden, Tage und Wochen ohne klare Erinnerung daran irgendeinen Compulsion-Design-Gully hinuntergegurgelt sind, denn zum einen ist das neue Horrormeisterwerk der Schweden mit knapp sechs, sieben Stunden Spielzeit vorbildlich kompakt, zum anderen ist fast jede Sekunde davon so voll mit Adrenalin, Angst und Hyperfokus, dass einem das lasche Klicken auf irgendwelche Dämonen daneben wie das örtliche Hochbetagten-Bingo vorkommt.
Aber, aber, aber, die Freunde - gut, dass du das erwähnst, denn um das Budget einer einzelnen Deluxe-Edition von Diablo IV kannst du dir UND drei FreundInnen das wunderbare Gunfire Reborn kaufen, in dem ihr als schwer bewaffnete Kuscheltiere in finstere Kerker aufbrecht und jede Menge Loot rauszerrt. Zu nett? Dann versucht’s mal mit GTFO, und dankt mir, sobald du und deine Jungs/Mädels euren ersten Rundown überlebt habt. Kann ein bisschen dauern. Hab ich schon Deep Rock Galactic gesagt? Und wenn dir das zu wenig nach Diablo aussieht: V Rising ist wirklich, wirklich gut, macht allein und mit FreundInnen Spaß und kostet dich weniger als eine Necromancer-Textur im Blizzard-Online-Store.
Um dich völlig vom Hochglanz-Klicken mit Itemshop abzulenken, kannst du als maximales Kontrastprogramm auch in die Emerald Woods aufbrechen, ein Rogue-like, in dem es so gut wie keinen Kampf, dafür nur Sandbox-Survival gibt, oder dir den ultimativen Hipster-Kick geben und mit MyHouse.wad das vermutlich bemerkenwerteste No-Budget-Phänomen des Jahres 2023 erleben. Ja, das ist eine Gratis-Mod für ZDoom, und ja, ich mein’s ernst, dass dieses hässliche Ding garantiert ein Erlebnis ist, das mit ein paar hundert Stunden Endorphinklicksen mithalten kann.
Beim Aufzählen all der lohnenden Alternativen zu genau diesem Schokokrampus geht es mir nicht mal primär darum, Blizzards Genrekönig an sich schlechtzureden, sondern eher darum, dass ich die - für mich - monoton-traurige Klickorgie nicht widerspruchlos als “gutes Gamedesign” dastehen lassen möchte. Gutes Gamedesign ist mehr als gutes Zwangsobsessionsdesign, wie Fabian Fischer in einem Tweet angemerkt hat, und Spiele haben so viel mehr zu bieten als diesen Sog, der Stunden eines endlichen Lebens im Nichts verpuffen lässt und einen mit roten Augen und Sehnenscheidenentzündung wieder ausspuckt. Sich daran zu erinnern, ist mehr wert als der goldenste Unique-Drop, den ich in zwei Stunden schon wieder vergessen habe.
Aber hey: That’s just me. Ist schon auch okay, wenn ihr das ganz anders seht als ich. Irgendwann lässt Diablo jede und jeden wieder los. Tief unten glimmt diese Hoffnung auch in all jenen, die jetzt noch keinen anderen Gedanken außerhalb dieses speziellen Kreises der Hölle fassen können.
Dein Rainer
Lieber Rainer,
vielen Dank für deine vorzüglichen Newsletter. Diese zaubern mir regelmäßig ein Lächeln ins Gesicht und Pflanzen mir neue Denkanstöße ins Gehirn. Information, Unterhaltung und Sichtweisen, wie ich sie mag und die mich auch triggern, im positiven Sinne.
Gestern lag ich einer Hängematte im Wald (also tatsächlich) und habe mir die aktuelle Folge des FM4 Games Podcast angehört (in der es mit dir ja auch über Diablo geht, unter anderem Diablo 3). Gute Folge und ich wollte dich noch mit etwas unnützen Wissen hinsichtlich des Echtgeld-Auktionshaus in Diablo 3 unterhalten.
Alles gesagte stimmt soweit und auch meinen Informationen nach, war das Ziel eine Geldgenerierung aus nichts (Basis waren die Erfahrungen mit dem Schwarzgoldmarkt, der durch World of Warcraft hervorgerufen wurde). Das Blizzard Management hat nicht mit dem großen Backslash gerechnet und wollte dann auch relativ zeitnah das Problem mit der Strategie Entfernung lösen (weil negative Backslash und Imageverlust größer waren als der potentielle Gewinn). Am Ende hat sich aber keiner drüber getraut, weil auf der Verpackung von Diablo 3 das Auktionshaus beworben wurde und man damit rechtliche Probleme hinsichtlich irreführender Werbung bekommen hätte können. Viele Konjunktive, aber am Schluss hat die Legal-Abteilung gewonnen und Sachen sind für zwei Jahre (2012 bis 2014) so geblieben.
Mit der Veröffentlichung der Erweiterung "Reaper of Souls" im März 2014 wurde dann auch das Auktionshaus komplett entfernt (konkret eine Woche vor dem Release). Der Grund, warum es damals dann doch ging, weil die original Diablo 3 Versionen aus dem Handel genommen wurden und nur mehr die Version mit der Erweiterung erhältlich waren. Dort gab es keine Hinweise mehr auf der Verpackung und die Legal-Abteilung konnte wieder ruhig schlafen.
Grundlegend kann man natürlich diskutieren, ob das Risiko einer Klage nicht vertretbare gewesen wäre. Aber am Ende ist es Geld und die Rechtsauffassung in Amerika kann manchmal etwas merkwürdig anmuten.
Das war es schon wieder und ich bin dann wieder mal in der Hängematte.
Liebe Grüße aus Oberösterreich,
Christoph