Wien, 12.3.2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
ja, ich weiß, ich hab auch in meinem letzten Brief schon etwas über Elden Ring geschrieben, aber bitte verzeih mir, wenn ich nochmal etwas dazu sagen muss.
Das klingt jetzt schon mal komisch, weil: Unbestritten ist das neue From Software-Spiel einer der relevantesten Titel des ganzen Jahres. Wieso entschuldige ich mich dann eigentlich hier dafür, dazu nochmal etwas zu sagen? Genau darum geht’s: Elden Ring, oder besser gesagt: Dark Souls & Co, geht vielen tierisch auf den Sack. Oder noch besser gesagt: dass so viel über diese Spiele geredet wird.
Man könnte jetzt einwenden, dass das bei Release großer Spiele halt so ist. Wenn Halo Infinite rauskommt, wird darüber geredet, wenn es ein neues Zelda gibt, ebenso. Aber ja, es stimmt: Die Spiele von From Software haben durch ihre Eigenheiten, durch ihre Schwierigkeit und vor allem Undurchsichtigkeit, die es nötig macht, sich auszutauschen, eine ganz eigene Fan-Community geschaffen, die von vielen als anstrengend empfunden wird.
Dabei stelle ich aber mit Erstaunen fest, dass sich zugleich ein ziemlich harsches Vorurteil festgesetzt hat. Die toxische „Git gud“-Crowd sei so nervig, die angeblich jede Bitte um Hilfe mit arrogantem Von-oben-Herab als Noobs verächtlich mache. Ich will jetzt ja nicht behaupten, dass es die nicht gibt, und klar, natürlich besteht meine persönliche Timeline-Bubble nur aus tollen Menschen, aber im Ernst: Ich hab den Verdacht, dass der Ruf der Community hier absolut zu Unrecht so schlecht ist.
Auf Reddit und auch auf Twitter herrschen nämlich im Gegenteil ehrliche Begeisterung, differenzierte Kritik, enthusiastische Hilfestellung und kooperatives Teilen immer neuer Infos, Geheimnisse und Strategien vor. Wer’s nicht glaubt, soll sich gern mal in den Subreddits zu Bloodborne und Souls umsehen: Da finden sich keine „git gud“-Watschen, sondern im Gegenteil seitenweise Threads, in denen Neulinge teils zehn Jahre nach Release der jeweiligen Spiele noch stolz ihre ersten erfolgreichen Schritte im Spiel posten („OMG I FINALLY KILLED O&S!!!1“) - und dafür von den anderen Kommentatoren regelmäßig gefeiert und mit weiteren Tipps angefeuert werden.
Ist es also echt die angeblich so arrogante „TRVE GAMER“-Community, die manchen Menschen das Thema so vergällt, dass sie jede Äußerung dazu schon reflexhaft und genervt als „Hype“ abqualifizieren? Ich habe die Vermutung, dass die Gründe auch woanders liegen könnten. Zum Teil zwar durchaus in der Art der Community und des Diskurses, den diese Spiele auslösen, aber auch in einer Ablehnung, die woanders herkommt.
Souls-Spiele machen scheinbar beide Gruppen emotional. Die, die reinfinden und sie spielen, weil durch die Überwindung der hohen Hürden eine Bindung entsteht, die in anderen Spielen nicht auf diese Art und Weise zustandekommt. Und die, die nicht reinfinden (oder es auch nicht versuchen wollen), weil sie sich von der für sie irrationalen Art und Weise, wie die andere Gruppe begeistert ist, abgestoßen fühlen. Das sieht von außen aus wie ein gehirngewaschener Kult, der - anscheinend - sinnlosen Masochismus abfeiert, alle, die „zu schwach“ sind, von der Party ausschließt und jeden offensichtlichen Fehler dieser sperrigen Spiele völlig unkritisch beiseitewischt. Denn: Wieso kriegt sowas 10 von 10 Punkten?
Zur letzten Frage: Natürlich weil diese Spiele meist von jenen KritikerInnen rezensiert und benotet werden, die schon „drin“ sind - so etwas wie „Selection Bias“, und die gibt es überall. Das neue FIFA wird im Normalfall ja auch nicht von jenen besprochen, die zuvor noch nie ein Fußballspiel gesehen haben. Und ja, es ist natürlich absurd, dass einem Spiel, das derart offensichtlich für eine - inzwischen große, aber dennoch begrenzte - Nische gemacht wurde, durch eine Zahlenwertung von 100% damit quasi objektiv Perfektion zugeschrieben wird. Ich persönlich habe in meiner Rezension (ohne Zahl am Ende) Elden Ring als Meilenstein bezeichnet und zugleich darauf hingewiesen, dass die offensichtlichen Schwächen in UI und Einbindung neuer SpielerInnen ein Makel sind, der mit ihrem Massenerfolg immer unverständlicher wird. Habe ich schon mal gesagt, dass Zahlenwertungen für Kulturprodukte Unfug sind? Ach ja. Ein paar Dutzend Mal.
Der Ärger über diesen Mangel an Einordnung ist also berechtigt; der Groll über die Freude anderer an etwas, das man selbst nicht mag, nicht unbedingt. Dummerweise ist der Weg, seine Vorurteile gegenüber diesen Spielen auszuräumen, steiniger als bei anderen Spielen. Ja, sie sind (relativ) schwer, aber vor allem undurchsichtig und unlogisch in ihren Konventionen, vom clunky User-Interface angefangen bis hin zu Dingen, die „man eben wissen muss“. Und ja, die absolut berechtigte Frage, ob man mit 100 Stunden seiner Zeit nicht was anderes anfangen könnte, darf man natürlich auch stellen. Weil den Spielen dieser schlechte Ruf vorauseilt, lassen sich viele von Vornherein abschrecken; wer’s aber sogar dennoch einmal probiert hat und nicht „reingefunden“ hat, zieht aus seiner subjektiven Frustration dann vielleicht auch gern mal den verständlichen, aber letztlich ungerechten Schluss, dass alle anderen, die daran Freude haben, sich selbst belügen und irgendwie nerven.
Das ist dann nicht das altbekannte FOMO, also die Angst etwas zu versäumen, sondern eher AOMO - die Annoyance of Missing Out, also der Groll darüber, etwas zu verpassen. Und die darauffolgende Rationalisierung, dass das Versäumte dann aber eben ohnedies nicht so toll ist.
Der Diskurs über Souls & Co ist aus diesen Gründen leider schwierig - und, so habe ich vor kurzem halb im Scherz mal gesagt, inzwischen wohl weit toxischer als die diesbezüglich zu Unrecht schlecht beleumundete Community.
Fakt ist: Man muss nicht alles spielen, auch (und vielleicht: vor allem) nicht jene Spiele, von denen aktuell an jeder Ecke geredet wird. Wes das Herz voll ist, des geht eben der Mund über. Noch etwas Geduld und Nachsicht: Ein paar Wochen nach Release wird sich der Enthusiasmus wieder in die eigenen Subreddits verzogen haben.
Dein
Rainer
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