Wien, 26.5.2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Brief hat ein wenig länger gebraucht, hauptsächlich deshalb, weil ich nach coronabedingter Dreijahrespause wieder einmal die A Maze in Berlin besuchen konnte. Bei meiner Rückkehr nach Hause gab’s dann Legend of Zelda: Tears of the Kingdom.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Nicht, dass mich das Spielen dieses potenziellen GOTYs vom Schreiben dieses Newsletters abgehalten hätte - ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich es gar nicht mal so ausgiebig spielen konnte. Vielmehr ist mir einfach vorgekommen, dass es im Schatten dieses riesigen Monolithen schwer gewesen wäre, Gedanken zu irgendeinem anderen aktuellen oder zeitlosen Games-Thema da rauszuschicken.
Und je länger ich darüber nachgedacht habe, desto klarer ist mir auch ein Gedanke erschienen, der die beiden, den Multimillion-Dollar-Superhit von Nintendo und das “Playful Media”-Festival in einem Berliner Krematorium, irgendwie miteinander verbindet.
Vielleicht relativiert sich das ja noch mit der Zeit, aber die ersten Tage und Wochen der Welt mit dem neuen Zelda waren geprägt vom Staunen über die neuen Crafting-Möglichkeiten. Twitter und andere Social-Media-Kanäle waren voll mit GIFs und Videos von aberwitzigen Konstruktionen: riesige Roboter mit feuerspeienden Penissen, bildschirmbreite Gefährte, absurde Konstruktionen und Mechanismen, allesamt elegant oder aber wüst zusammengeklebt und mit kindlicher Freude in dieser neuen Inkarnation von Hyrule ausprobiert.
Der Mut und das Selbstvertrauen der Entwickler von Zelda, hier den kreativen Spieltrieb seines Publikums über so gut wie alles andere zu stellen, ist bemerkenswert. Das endlos mögliche Zusammenkleben von allerlei Dingen zerschießt sorgfältig designte Rätsel? Egal! Wer lange Passagen des Spiels sozusagen “bruteforcen” will, indem er oder sie kreative Umwege findet, wird vom Spiel kaum daran gehindert. Mit anderen Worten: TotK ist nicht nur ein Spiel, das streng Regeln auferlegt und seine Spielerschaft dazu anhält, diese zu befolgen, sondern auch und prominent ein Spielzeug, mit dem wir spielen dürfen, wie es uns gefällt.
Das ist nun nicht unbedingt revolutionär, denn die strenge Trennung zwischen “game” und “toy” ist sowieso eher akademisch. Streng genommen ist Ersteres eine vorab geregelte Tätigkeit und Zweiteres ein Gegenstand, der erstmal ohne Regeln, aber mit vielen Möglichkeiten daherkommt.
In der Praxis vermischt sich das natürlich. Ein Ball ist ein Spielzeug, Fußball ein Spiel. Trotzdem blickt der durchschnittliche “Gamer” mit Verachtung auf vieles herab, was seiner Ansicht nach nur “Spielzeug” und kein “richtiges Spiel” ist.
Das neue Zelda, und in bedeutendem Ausmaß auch sein Vorgänger, ist nun beides, und es beinhaltet, so ist das logischerweise in Games, zusätzlich den Ort dieses Spielens, indem es auch noch Spielplatz und Bühne ist. Ein Spielplatz, kein Rummelplatz.
Der große Reiz von Breath of the Wild war, dass es sich beim Vermitteln seiner Spielangebote stark zurückgehalten hat. BotW war “leer” in dem Sinn, dass es nicht wie die Open Worlds von Ubisoft, Rockstar & Co an jeder zweiten Ecke eine zusätzliche Jahrmarktsattraktion aufgestellt hatte, um uns zu beschäftigen. Türme besteigen, Feindeslager ausheben, hier ein Crafting-Minispiel, dort ein Racetrack - BotW brauchte all das nicht.
Dass Nintendo seinen SpielerInnen zutraute, sich hier auch einmal ohne Entertainmentangebot zumindest eine Zeitlang selbst, allein und (mehr oder weniger) still zu beschäftigen und tatsächlich einfach zu spielen, war die zu Recht hochgelobte und souveräne Designleistung der neuen Zelda-Open-Worlds. Seitdem hat das eigentlich nur Elden Ring in ähnlich stoischer Manier wieder zuwege gebracht.
Tears of the Kingdom lässt sein Publikum den simnplen, puren Spaß am Spielen mit neuen fantastischen Werkzeugen großmütig ausleben und stellt dafür ziemlich viel seines ansonsten wie gewohnt makellosen Game- und Puzzledesigns zurück. Die Regeln, die ein Spiel bedingen, sind durchaus noch in Kraft, aber sie werden hier lässig ausgelegt. Nein, ich muss nicht unbedingt A vor B erledigen, ja, ich kann diese und jene wahnwitzige Abkürzung ausprobieren, und wenn der Riesenroboter halt einfach dringend einen feuerspeienden Penis braucht - why not?
Irgendwie fantastisch, dass sich ausgerechnet in einer der größten Games-Franchises des Planeten, ausgerechnet vonseiten Nintendos diese großzügige Lässigkeit verwirklicht, die das Spiel, mit seiner ganzen epischen Handlung, seiner Tradition und seinem dann auch wieder derart perfekt ausgearbeiteten Designdetails, einfach so und selbstverständlich zum Spielzeug werden lässt, mit dem man einfach spielen darf, egal, wie krude, albern oder auch den Rest des Spiels konterkarierend das dann aussehen mag.
Diese Rückkehr zu einer ursprünglich anarchischen, sehr unmittelbaren und immer wieder überraschenden Art des Spielens ist auch der Kern eines Festival wie der A Maze. “Playful Media”, nicht “Games”, das bedeutet eben auch, dass in den hier gefeierten Werken vor allen anderen Dingen neugierig Neuland betreten wird. Die Spiele der A Maze, zumindest die meisten, scheuen sich nicht, auch mal einfach “nur” Spielzeug sein zu wollen und zu schauen, was passiert.
Ich mag “klassische” Spiele, die mir innerhalb klar definierter Regeln eine lineare Geschichte erzählen, die mich mit clever ausgetüftelten Rätseln prüfen, die mir klar umrissene Aufgaben stellen und die ich irgendwann abschließe, mit dem Gefühl eine Mission zu Ende gebracht zu haben. Ich mag es aber auch, mir selbst ein Ziel zu setzen, mich absichtslos zu beschäftigen, einfach zu tun, was mir gerade einfällt, kurz: einfach zu spielen.
Anders formuliert: Ich mag Spiele; Spielzeuge mag ich aber mindestens ebensosehr. Schön, dass es manch rare Videospiele schaffen, beides zu gleichen Teilen zu sein.
Dein Rainer
Bild: Midjourney, prompt: complex toy
Ich frage mich wie viele von denen die gegen Spielzeug wettern, letztlich selbst welche bzw. die jeweiligen Elemente, spielen. Und überhaupt wahrnehmen, dass sie eines spielen.
Wo ja so etwas wie TotK ja keine reines Spielzeug ist. Manche Modes von Minecraft und Kerbal Space Program eher.
Vielleicht ist da so manche Gewetter eher um den Habitus und die Gruppenidentifikation zu wahren.
So mancher Gamer dürfte schon mit so manchem Spielzeug(-element) gespielt haben.
"mit dem man einfach spielen darf"
Hach all die Mehrfachbedeutungen von Spiel(en).
Nicht das "spielzeugen" sehr viel besser wäre :-D
Schöner Text und vielleicht ein Ansatz für mich es doch nochmal mit BOTW oder dem neuen Zelda zu probieren. Verhänge da meist nostalgisch in den top down Titeln der Reihe.
Zudem bin ich an BOTW Grandios gescheitert, da ich nach einem Jahr umherwandern als Geralt von Riva in Witcher 3 direkt als nächstes Nintendos Open World Epos gestartet und nicht verstanden habe damals.
Wieder hatte ich einen einsamen Recken und ein Pferd und wieder war da eine offene Welt, aber mir wurde (wie du oben schön schriebst) nicht gesagt was ich eigentlich tun soll und wie.
Ich hatte wohl verlernt zu lernen, zumindest in Videospielen.
Nun einige Jahre später reizt es mich doch erneut.
Danke.