Wien, 23.10.2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
irgendwie muss man ein wenig müde werden, es immer und immer und immer wieder zu betonen, aber: Es gibt keine ideologiefreien, unpolitischen Kulturprodukte, und ja, natürlich gehören auch Videospiele dazu.
Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder mit genau diesem eigentlich recht einfach zu verstehenden und allgemein außer Streit stehenden Sachverhalt beschäftigt, etwa hier in meinem Text zum Mythos vom unpolitischen Spiel. Trotzdem kommt beinahe jedes Mal, wenn die Rede auf die meist unausgesprochene Ideologiehaltigkeit von Videospielen kommt - ich habe das “Politizität” genannt, fight me -, mit Garantie ein Widerspruch von irgendwoher.
Früher kam dieser aus jener übel nach Jungsumkleide miefenden Ecke, aus der sich mit Gamergate der rechte Kulturkampf aufgemacht hat, bis ins weiße Haus weiterzutorkeln, weil: Games sind nur Spaß! Rechtsextreme Redneck-Milizen, blütenweißes Mittelalter, Gewerkschafter als Bösewichte, it’s just an entertainment product. Und wenn in Videospielen überhaupt Politik vorhanden sein sollte, dann doch maximal jene, dass uns von Kulturmarxisten übergewichtige Kampfemanzen mit bunten Haaren aufs Auge gedrückt würden, um unser Baumhaus zu belagern!
Die Zeiten ändern sich. Dass diese Schlacht um die angebliche Jungskultur Gaming letztlich erfolglos bleiben musste, ist nicht dem mutigen Entgegentreten der Industrie oder des zugehörigen Journalismus zu verdanken - denn ein solches gab es nicht. Die schnöde Demografie und Geschäftssinn allein haben stattdessen dafür gesorgt, dass sich der Fokus in Spielen vom beleidigten ehemaligen Kernpublikum der “tru3 G4m0r d00ds” auf andere Bevölkerungsgruppen erweitert hat, die sind nämlich als zahlende Zielgruppe attraktiver als these obtuse shitslingers, these wailing hyper-consumers, these childish internet-arguers, als die sie Leigh Alexander in einem zu Recht berüchtigt gewordenen, großartigen Beleidigungstext absolut trefflich beschrieben hat. (Meine ein paar Jahre davor abgegebene Rundumbeflegelung exakt dieser Zielgruppe war noch undiplomatischer.)
Jedenfalls: Wenn heute gegen die Interpretation und Deutung von Spielen hinsichtlich ihrer Ideologie argumentiert wird, dann zumindest meist nicht aus denselben testosteron- und energydrink-besoffenen 8chan-Argumentationsschablonen heraus wie vor zehn Jahren. Weil: Immer mehr Spiele trauen sich, ihre Sympathie für manche (gesellschaftspolitischen) Ideologien und Ideale auch nach vorn zu stellen. Dass in einem Blockbuster wie “The Last of Us Part 2” ein lesbisches Pärchen über den Holocaust plaudert, ist so gesehen der ultimative Mittelfinger an die reaktionäre Arschlochgamerpartie. Dass sogar ein Ubisoft-Vehikel wie “Far Cry 6” trotz weiterhin braven Abhakens aller Klischeebilder von karibischer Guerrillaromantik von sich selbst offensiv als politisch spricht, beweist, dass aus der empörenden Provokation von früher sowas wie stolz präsentierte Relevanzbehauptung geworden ist.
Keep your politics out of our games, von wegen: Der Deppenschlachtruf wird zwar heute noch verlässlich angesichts jedes Aufblitzens von Pronouns (!) in Spielen bis zur Selbstparodie gebrüllt, aber darüber kann, darf und muss man sich einfach nur mehr lustig machen.
Trotzdem: Kaum weist jemand darauf hin, dass auch ein Spiel wie Cities: Skylines 2 natürlich in Setting und vor allem Spielsystemen eine Ideologie befördert und schlicht formuliert eine Ode an die Bodenversiegelung darstellt, die angesichts eines brennenden Planeten ziemlich aus der Zeit gefallen wirkt, fühlt sich schon wieder ein Teil des Publikums gekränkt. Natürlich erinnert das sofort einen Kommentator an die Killerspieldebatte, weil das schlicht exakt die einzige Brille ist, durch die Kritik an Spielen wahrgenommen wird, die über ihre Benotung als gut oder schlecht funktionierende Waschmaschine hinausgeht. Und wie bei diesem historischen Trauma (Thompson! Pfeiffer! Hillary!) gilt natürlich auch hier: Wer derartige Kritik an “unserem” Medium äußert, hat natürlich keine Ahnung, ist ungerecht und braucht deshalb nicht gehört zu werden.
Die Weigerung, problematische Ideologie in Spielen anzuerkennen, erfolgt in diesem Fall meist nicht entlang eigener ideologischer Linien, sondern, eigentlich noch perfider, mit dem treuherzigen Verweis auf angebliche Notwendigkeiten spielmechanischer Art oder solche des angeblichen Realismus: So ist das nunmal in der realen Welt - wer eine Stadt will, hat eben (leider!) gewissen Regeln zu folgen, die nicht zu hinterfragen sind.
Was untergeht: dass jede Simulation, egal wie detailgetreu, in Videospielen immer ausschließlich mit radikaler Vereinfachung der Realität einhergeht und es für deren “Realismus” mindestens genau so wichtig ist, was weggelassen wird. Konkret: das ganze Rundherum eines Planeten mit endlichen Ressourcen und endlosen Abhängigkeiten großer und kleinster Systeme, von Mikroorganismen bis hin zum Golfstrom. Muss so, weil isso? Die aus der Behauptung eines angeblichen Realismus entstehende Fantasielosigkeit und achselzuckende Einzementierung des Status quo als “alternativlos” kennen wir ja zur Genüge auch aus der realen Welt.
Die Ideologie von Strategiespielen zeigt sich, im Gegensatz zu vielen anderen Spielen, eben nicht unbedingt an ihrer Oberfläche, an Slogans, Handlung, Figuren - sondern in ihren Spielmechaniken von Ausbeutung, Kolonisierung, “natürlicher” Überlegenheit, Idealen von Zivilisation und Natur, Kapitalismus und Individualität. Die meisten Aufbauspiele sind zutiefst ideologisch - von den Sims über Civilization bis hin zu Cities: Skylines 2. Das zu benennen, ist kein abgehobenes Herumkritteln an Details, sondern nötige Justierung der Weltwahrnehmung. Genau dazu wären Spiele, in ihrer Interaktivität und ihrer beispiellosen Fähigkeit, auch real existierende Wechselwirkungen und Mechanismen erfahrbar zu machen, besonders gut imstande.
So gesehen: Es braucht das ideologische, politische Spiel, eines, das uns den Ausweg zeigt, für den es sich lohnt, auf den ganzen Beton, den nächsten Städtetrip per Flugzeug und das Rindfleisch dreimal die Woche zu verzichten. Nicht als Indoktrination und Belehrung, sondern als Aufmunterung und Ansporn. Apokalypsen hab ich zumindest schon zur Genüge gesehen.
Dein Rainer
Das muss so anstrengend sein, sich immer angegriffen fühlen und „mein“ Medium verteidigen zu müssen. Of course it‘s political, everything is. Hehe d00ds