Wien, 26.3.2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist eine Frage, die schon bedeutend älter ist als Videospiele: Lassen sich Kunst und Künstler voneinander trennen?
Darf ich finden, dass Caravaggio ganz geil gemalt hat, wenn ich weiß, dass er ein ziemlich brutaler Typ war, der sogar einen Mord begangen hat? Muss ich die Gemälde von Gauguin anders beurteilen, wenn ich erfahre, dass er seine Frau und Kinder einfach im Stich gelassen hat? Wie viel Emotion darf ich mir bei HC Andersens Märchen erlauben, wenn ich höre, dass er zeit seines Lebens ein knausriger Schnorrer war?
Ich weiß nicht, wie du das handhabst, aber ich finde: Es gibt durchaus Sachen, die ich moralisch so scheiße finde, dass sie mir das Werk eines Menschen unsympathisch machen. Dass Salvadore Dali etwa opportunistisch das faschistische Franco-Regime unterstützt hat, schmälert seinen Ruhm in meinen Augen durchaus. Dass ich inzwischen weiß, dass Roald Dahl ein Antisemit war, lässt mich seine Kinderbücher mit anderen Augen sehen. Die Cosby Show habe ich auch schon früher schlecht gefunden, aber maybe that’s just me.
Der Anlass für diese Überlegungen ist natürlich, dass das Werk einer berühmten, steinreichen Person mit menschenverachtenden Ansichten und großer medialer Reichweite gerade in ein Videospiel umgesetzt wird, das viele herbeisehnen. Die Rede ist von JK Rowling und Hogwarts Legacy.
Bevor wir uns jetzt missverstehen: Ich hab nicht vor, mit einer moralischen Keule auf dich einzuschlagen, wenn du zu denen gehörst, die sich auf das Spiel freuen und von der Kontroverse darum nichts wissen wollen. Vielmehr möchte ich kurz erklären, warum ich zumindest in diesem Fall Kunst und Künstler nicht voneinander trennen will.
Ich habe oben ein paar Künstler genannt, die wahrscheinlich allesamt miese Zeitgenossen waren. Mit der Ausnahme von Cosby haben sie noch was gemeinsam: Sie sind längst tot. Das macht es bedeutend einfacher, sie von ihrem Werk zu trennen. Zumindest, so kann ich mir einreden, unterstütze ich sie nicht, wenn ich etwas von ihnen anschaue, lese oder kaufe.
Das ist - offensichtlich - bei Rowling anders. Es ist ziemlich schwer, sie als Person von dem millionenschweren Unternehmen, das ihr Werk begründet hat, zu trennen. Es ist eigentlich auch schwer, ihr Werk - also ihre Figuren, Geschichten, ihre Welt, ihre Literatur - von ihr als Person zu trennen. Und JK Rowling hat leider in den letzten Jahren freiwillig und ziemlich offensiv auf großer medialer Bühne Meinungen vertreten, die man nicht direkt mit dem Wort „transphob“ beschönigen sollte. Eine der reichsten und kulturell einflussreichsten Frauen der Welt hat keine Angst vor transsexuellen Menschen. Sie hasst sie eher. Und weil ihr Wort Gewicht hat, macht sie diesen Hass ganz persönlich ziemlich salonfähig.
Ich mag jetzt nicht über Rowlings Argumente, Vorurteile und Abneigungen reden. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass natürlich auch eine Prominente Recht auf ihre Meinung hat, egal wie daneben ich oder sonst jemand sie finden mag. Dass sie diese Meinung aber durchaus offensiv und selbstbewusst nach außen vertritt und bewirbt, ist eine Entscheidung, die sie selbst zu verantworten hat. Um es noch weiter auszuführen: Rowling hätte sich ja auch entscheiden können, ihre Meinung nicht auf der großen Bühne eines Twitter-Accounts mit fast 14 Millionen Followern kundzutun, sondern sie eben im privaten, oder zumindest persönlichen Kreis zu belassen. Dass sie sich dagegen entschieden hat, zeigt auch, dass sie die Identifikation ihres Werks mit ihrer Person absichtlich in Kauf nimmt. Immerhin nehme ich stark an, dass die 14 Millionen Follower eher Fans von Harry Potter als von Frau Rowling persönlich sind und diese Trennung nicht unbedingt mitbedacht hatten, als sie auf „Follow“ geklickt haben.
Das ist alles nicht schön, aber völlig okay, eigentlich. Eine prominente Person mit Reichweite sagt etwas Kontroversielles und nimmt in Kauf, dass Widerspruch kommt. Offenbar ist ihr die Meinung anderer Menschen egal. Ich gehe davon aus, dass ihr auch ziemlich egal ist, ob Hogwarts Legacy deshalb, Hausnummer, nur von zwei Millionen Leuten gekauft wird statt von drei. Geld ist für sie sicher kein Thema mehr, vermutlich wurde sie schon bezahlt, und um alles, was als transphob gelesen werden könnte, wird der Publisher im Spiel wohlweislich einen Riesenbogen machen. Auch die gewohnt fragwürdigen rassistischen Stereotype aus dem Potterversum müssen in diesem Fall nicht mal unbedingt aus ihrer Feder stammen.
Was bleibt, ist aber immer noch eine Person, die selbstbewusst mit ihrer Medienmacht Menschen ausgrenzt, attackiert und ihre Diskrimierung salonfähig macht. Was mir bleibt, ist die Entscheidung, wie ich mit diesem diskriminierenden Selbstbewusstsein umgehe. Ist es mir egal, was sie sagt? Ist es mir egal, dass ihre mediale Größe auch dadurch so groß bleibt, weil ich sie und ihr Werk unterstütze? Ist es sinnlos, wenn ich als Einzelner nur für mich beschließe, das nicht zu tun?
Ich finde, die Antwort ist in allen drei Fällen: Nein. Es ist nicht egal oder sinnlos, und zwar für mich. Ich mag Frau Rowling nicht unterstützen, sei es durch Kauf oder durch Besprechung ihrer Produkte, egal, wer diese Produkte denn letztendlich im konkreten Fall gemacht hat. Ich mache stattdessen genau das, was von aufgeregten Konservativen immer anstatt der angeblich grassierenden woken Cancel-Culture eingefordert wird: Ich werde Rowling und Hogwarts Legacy einfach ignorieren.
Ziemlich viele Worte für so ein banales Fazit, ich weiß. Ab jetzt nicht mehr, zumindest nicht zu diesem Spiel, das außerdem, mal ehrlich, hübsch, aber sowieso rasend konventionell aussieht. Stattdessen werde ich versuchen,mit meinen bescheidenen Mitteln Kunst und Künstler zu fördern, bei denen ich mir die Frage nicht stellen muss, ob sie ohne schlechtes Gewissen zusammengehören dürfen.
Dein
Rainer
Bild: Midjourney, Prompt: arts teacher as a real human, photorealistic