Früher(TM)
Wien, 7.4.2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
natürlich weißt du es, natürlich hast du es gelesen oder sonstwo von aufgeregten FreundInnen gehört, vielleicht bist du selbst aus dem Häuschen: Guybrush Threepwood kehrt zurück. Ron Gilbert selbst gibt sich die Ehre, um ein weiteres Mal zu einem Abenteuer auf Monkey Island zu rufen. Dass sich, seit der Meister das letzte Mal selbst Hand angelegt hat, drei andere Nachfolger in die Serie reingeschummelt haben, stört da nicht so sehr, irgendwie wird Return to Monkey Island nämlich noch 2022 da ansetzen, wo Monkey Island 2: LeChuck’s Revenge mit einem Cliffhanger 1991 geendet hat.
Wieder ansetzen in der Vergangenheit - geht das? Das mag dir jetzt wie eine komische Frage vorkommen, denn Millionen NostalgikerInnen wischen sie regelmäßig reflexhaft beiseite. Monkey Island! Ron Gilbert! Say. No. More! Weißt du noch, damals?
Also ja: ich weiß noch, damals. Ich, wie viele, viele andere Spielbegeisterte meines Alters, und wohl auch viele Jüngere, haben Monkey Island gespielt. Und geliebt. Es ist trotzdem erstaunlich, wie integrativ die Begeisterung für das Comedy-Piraten-Abenteuer immer noch ist. Keiner hat ein schlechtes Wort darüber zu verlieren, alle, wirklich alle, zumindest ab einem gewissen Alter, verbinden damit eine goldene Ära der Videospielvergangenheit.
Nostalgia is a hell of a drug. Klar weiß ich jetzt nicht, wie das noch dieses Jahr erscheinende neue Piratenabenteuer konkret aussehen und sich spielen wird; man lehnt sich aber wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man davon ausgeht, dass es klassisch ausfallen wird. Das erwarten die Fans, das erwartet sicher auch der Publisher Devolver Digital. Und das ist sicher okay so. Dass Ron Gilbert 31 Jahre später seine Kult-Comedy-Serie fortsetzt, ist quasi der Pitch. Wo, wenn nicht hier, sind Innovation und Originalität so unnötig?
Wie gesagt: Das ist verständlich, aber auch schade, denn die rosa Brille der Nostalgie lässt einen da schon öfter vergessen, was tatsächlich da war. Das klassische Point&Click-Adventure, wie es sich seit den 90er-Jahren bis heute zumindest in Nischen am Leben erhalten hat, ist nämlich eigentlich - zumindest und hier nur für mich gesprochen - kein Genre, das besonders gut gealtert wäre.
Okay, falls du an dieser Stelle bereits mit hochrotem Kopf zu einer Antwort in Form eines gesalzenen Kommentars oder einer formschönen klassischen Ohrfeigendrohung per Email ansetzen möchtest: Hear me out! Ich sag ja nicht, dass du keinen Spaß mehr daran haben darfst. Ich sag auch nicht, dass 3D besser ist, dass alles Open World oder casual oder prozedural generiert oder sonstwas Hippes sein muss. Ich sag noch nicht mal, dass es dauernd was NEUES sein muss.
Ich sag nur: Point&Click-Abenteuer sind als Genre nicht ganz zufällig irgendwann immer nischiger, kleiner und unwichtiger geworden. Was cool an ihnen war, ist anderswo weiterverwendet worden; was weniger cool war, hat halt als nostalgischer Überrest auf ewig seinen Platz im Regal derer, die die rosa Brille gern aufhaben.
Ich habe mir in den letzten Tagen zufällig wieder einmal einige moderne Point&Click-Adventures klassischer Machart angesehen, und ja, eh, die haben durchaus was. Die Spiele von Wadjet Eye Games werden von AuskennerInnen schon zu Recht verehrt, denn die bieten wirklich intelligente Rätsel und auch Storys, die übers Klischee hinausgehen. Abgesehen davon kann ich auch den minimalistischeren, aber herzallerliebsten Spielen von Amanita Design etwas abgewinnen, und dem kleinen, kostenlosen If On A Winter’s Night, Four Travellers kann ich bescheinigen, in einer seiner Episoden eine der beeindruckendsten Horror-Kurzgeschichten ever als Spiel umgesetzt zu haben.
Und trotzdem: Das ganze Ding, das ganze Konzept Point&Click-Adventure, ist archaisch. There, I said it. In seiner grundlegenden Mechanik, eine Geschichte als Abfolge von linearen Rätseln zu erzählen. In seiner Starrheit. In seinen Konventionen von Spielfiguren und Erzählstimmen, die viel zu selten, etwa von Kentucky Route Zero, durchbrochen werden. In seinem für meinen Geschmack oft ermüdenden Versuch, witzig sein zu müssen; ja, das hat uns auch Ron Gilbert eingebrockt. In der simplen Tatsache, dass ich bislang noch in fast jedem einzelnen der Spiele dieses Genres irgendwann vor einem Rätsel gestanden bin und einfach alle Gegenstände im Inventar zum Einsatz zu bringen versuchte, weil das, wegen Doofheit meinerseits oder missglückter Rätsellogik andererseits, so gut wie immer der Weg nach vorn war.
Und irgendwann, Ende der 90er-Jahre, war das wohl auch der Grund, warum der natürliche Endpunkt des Genres als Crowd-Pleaser und Massen-Erfolgsprodukt erreicht war. Ja, da gab’s auch den Schwenk zu 3D, den Aufstieg des Egos-Shooters, neue Games, neue Konsolen, neue Konzepte. Aber eben auch: ein Genre, das seine Form insofern gefunden hatte, dass ein weiteres Wachsen darin nicht nötig - oder möglich - war.
Vielleicht erinnern wir uns ja auch deshalb mit so viel Liebe an Monkey Island zurück, weil damit schon damals, irgendwie, alles gesagt, erreicht und getan war? Weil alles, was später in diesem dann eben schon „klassischen“ Genre kam, nur mehr Wiederholung, Epigone oder Aufguss war?
Das spricht jetzt alles nicht gegen Point&Click-Adventures an sich; die sind, als historisches Genre mit den altbekannten Einschränkungen und den genannten Eigenheiten, eben so, wie sie sind und dürfen natürlich auch 2022 und in vielen Jahren auch noch jeder und jedem gefallen, ob mit oder ohne rosa Brille. Das spricht auch nicht gegen Monkey Island, ob neu oder alt, und schon gar nicht gegen die immer weiter von deren Konzepten und Konventionen abweichenden moderneren Adventures, ob von Telltale, Inkle oder Failbetter, um ein paar Beispiele zu nennen, die viele, die der großen Point&Click-Zeit nostalgisch nachtrauern, vielleicht auch einmal spielen sollten.
Vielleicht spricht es aber ein bisschen gegen die reflexhafte Glorifizierung der Games-Vergangenheit. Es war vielleicht gar nicht alles so gut, wie du es im Rückspiegel in Erinnerung hast. Hinter dir! Ein dreiköpfiger Affe!
Dein
Rainer
Bild: Midjourney, Prompt: Artist talking with LCD monitor, renaissance painting, by Jan van Eyck