Wien, 22.12.2023
Liebe Leserin lieber Leser,
genau vor Weihnachten noch eine schlechte Nachricht: Substack hat sich offenbar dazu entschlossen, eine Nazibar zu werden, und das ärgert einen dann insofern, weil es bei Gott schon genug von der Sorte gibt dieser Tage. Ich bin am Überlegen, diesen Newsletter, das Archiv und alles damit Verbundene zu migrieren, wohin, ist mir noch nicht ganz klar. Wer Vorschläge hat: Bitte gern in die Comments oder direkt an mich, mir scheint Button Down eventuell einen Blick wert.
Anyway: Vor Weihnachten und dem Jahreswechsel herrscht generell auch im Videospielournalismus kein Mangel an etwas, das sonst nicht unbedingt eine Stärke beider Branchen, der Videospielindustrie und der sie begleitenden Presse, ist: alles voll mit Jahresbestenlisten und Rückblicken, von den unvermeidlichen „Besten Spielen des Jahres“ bis hin zu diversen Awards.
Das ist eine seltene Angelegenheit, denn der Blick nach hinten ist tendenziell nicht wahnsinnig populär in einem Medium, das vom ununterbrochen Hypen des noch Kommenden gefangen ist. Ja eh, als technisches Medium verwechselt man traditionell technischen Fortschritt mit Fortschritt an sich und ist geneigt, die Zukunft als immerwährend besser und begehrenswerter als die Gegenwart oder gar die schnöde Vergangenheit einzuschätzen, aber mal ehrlich: Genau darin liegt ein ganzer Haufen Probleme begraben.
Umso interessanter finde zumindest ich es, dass sich ganz zart ein gewisser Gegentrend bemerkbar macht, aber vielleicht seh den auch nur ich, weil ich ihn sehen will. Aber immerhin: Mit Remakes von Dead Space, Resident Evil 4 und System Shock hat das Jahr 2023 auf gewisse Weise auch der Gamesgeschichte gehuldigt, und das Jubiläum von 30 Jahren Doom war den meisten Publikationen die eine oder andere Zeile wert. (An dieser Stelle muss einfach ein Link zum meiner Meinung nach bemerkenswertesten Archiv der Kreativität der Doom-Modding-Szene stehen: Die Cacowards zeichnen Jahr für Jahr, auch nach drei Jahrzehnten, die besten Doom-Mods aus, und Leute, da sind ohne Scherz großartige Sachen dabei.)
Es gab 2023 ein Projekt wie das bemerkenswerte Making of Karateka von den wunderbaren Menschen bei Digital Eclipse, die neben Retro-Hommagen und Remakes auch eine Würdigung von 50 Jahren Atari und in Kürze eine spielbare Doku über Jeff Minter im Angebot haben, und ganz allgemein hat die Beschäftigung mit Retrogameskultur mit neuen Hardware- und Software-Emulationsmöglichkeiten von Analogue Pocket bis hin zum Steam Deck einen großen Schritt hin zum Massenpublikum gemacht - wie überhaupt vor allem Valves Handheld ein hervorragendes Ausgrabungsinstrument für die eigene verschüttete Geröllhalde des Piles of Shame der eigenen Steam-Library ist.
Mit anderen Worten: Vielleicht ist die Zeit gekommen oder zumindest schon nah, in der auf den gewaltigen, täglich wachsenden Berg an bereits veröffentlichten Spielen, egal wie historisch relevant, mit ebenso viel Interesse geblickt wird wie auf das Kommende, Ferne, für das uns die Hype-Wizards der Videospielindustrie immer und immer wieder begeistern wollen.
Recht bezeichnend übrigens, dass das einzige mir spontan einfallende nennenswerte Beispiel an Videospielgeschichtsdokumentation im deutschen TV, noch dazu im Öffentlich-Rechtlichen, nämlich die im September ausgestrahlte Doku „Inside the Game - Cyberpunk 2077: Phantom Liberty“ erst recht wieder nur kaum verhohlener Marketing-Spin für eine von der Firma selbst clever inszenierte Redemption-Story ist, die nicht zufällig zeitgleich mit dem DLC-Verkaufsstart vom Stapel gelaufen ist. Man sieht dem Endprodukt an, dass die Regisseurinnen dabei selbst eher mediumsfern sind und ihre Protagonisten aus der Industrie treuherzig und ohne Einordnung ihre Geschichte erzählen lassen. Dom Schott hat damals nachgefragt. Aber egal: Irgendwann kommen sie schon noch, die Geschichten, die nicht vom Marketing, sondern von den Spielen erzählt werden.
In der Literatur war’s dieses Jahr bemerkenswerterweise schon so weit, denn mit Tonio Schachingers „Echtzeitalter“ hat tatsächlich ein Roman den renommierten Deutschen Buchpreis 2023 gewonnen, in dem es auch um Videospiele geht und wie sie sich selbstverständlich ins Leben junger Menschen eingliedern, wie so ein ganz normales anderes Kulturprodukt. Lies das doch, es ist sehr gut.
Ja, du bemerkst es: Auch dieser Brief ist irgendwie dann doch ein Rückblick. Ich habe andernorts schon brav meine „Best of 2023“-Listen abgegeben, eine „Worst of“-Parade folgt bald im Standard und so bleibt mir hier vielleicht auch anlässlich des just heute beginnenden Steam-Sales ganz leserInnen-nah und im Sinne eines Service-Journalismus der Verweis auf ein paar wenige Schnäppchen, die zwar nicht aktuell, aber doch zumindest sehr gut und noch dazu gut gealtert sind. Ready?
Du tust gut daran, dir endlich Broforce um mickrige 2,95€ kaufen, denn mehr Spaß gibt’s um das Geld kaum.
Blick zurück, remember? Das weltbeste Remake von Half-Life namens Black Mesa gibt’s auch gerade um 2,99 €.
Weihnachtlicher als im wirklich superguten Ratten-Metroidvania-Soulslike Tails of Iron kann es um 4,99 € eigentlich gar nicht mehr werden.
Und das wunderbare Fabled Lands hat auch noch viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen - gibt’s jetzt um 7,39€.
Mehr Tipps gibt’s nicht von mir diesmal, denn vielleicht geht’s ja auch dir ein wenig wie mir: müde vom Jahr, müde von der Qual der Wahl, müde. Wird wieder. Bis zum nächsten Mal überleg ich mir, wie das in dieser Nazi-Bar weitergeht - bzw wo.
Hab schöne Feiertage, wenn du feierst, komm gut rüber ins nächste Jahr.
Dein Rainer
Ich hasse es, wie überall für den allmächtigen Mammon, Nazis toleriert werden! Danke für den Vorschlag mit Button Down, das schaut mit sehr fein aus. Werde dann wohl auch bald meinen Newsletter umziehen.