Cyberpunk’s dead
Wien, 6.8.2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
Iro, Dosenbier, Sicherheitsnadeln in der Nase, Anarchie als Lifestyle, DIY-Kultur und Randale gehören seit 40, 50 Jahren ebenso zum Gesellschafts- und Popphänomen Punk wie die Beteuerung, dass man noch am Leben sei. „Punks not dead“, seit mindestens 1981, als The Exploited das als Titel ihrer Platte hinrotzten. Und irgendwie muss man widersprechen, wie immer, wenn sich der große, fette Mainstream einen seiner irgendwann mal wilden Nebenarme gründlich einverleibt: Naja, doch, ein bisschen tot ist Punk schon. Und das schon lange.
So ist das halt, wenn rebellische Subkulturen memetisch erfolgreich sind. Dagegen sein wird irgendwann so cool, dass es nicht mehr cool ist. The Hipster-Dilemma, als ewiges Karussell des Kapitalismus, der sogar der Totalverweigerung noch Merch abringt. Ich möchte Teil einer antikapitalistischen Jugendkultur sein - was genau muss ich dafür kaufen?
Was hat das alles mit Videospielen zu tun? Jede Menge, aber eigentlich geht’s mir nicht ums endlich erreichte mediale Stagnieren in der Mitte der Gesellschaft. Sondern zuerst mal um Katzen.
Ja, genau: Katzen, oder besser gesagt, diese eine, kleine, rote Katze, nach der diesen Sommer alle verrückt sind. „Stray“ ist ein kleines Phänomen, und eigentlich wundert mich nur, dass sich jemand darüber wundert. Leute, es ist eine Katze - klar, dass der Beifall und die Begeisterung stürmisch ausfallen, denn Katzen sind sowas wie das ultimative Opium fürs digitale Always-Online-Doomscroller-Volk, seit uns die LOLCats damals in den 1870er-Jahren das erste Mal zum Doofgrinsen gebracht haben. 1870er. Yes, rly.
Die Katze in „Stray“ bewegt sich nun durch eine Welt, die irgendwie im Kontrast zu ihrer felinen Natürlichkeit steht, denn, logo, das Faszinierende an Katzen im Vergleich zu Hunden oder anderen Menschentieren ist ihre Eigenwilligkeit, ihre Sturheit und ihr Verweilen außerhalb unserer Kontrolle. Dass man in „Stray“ so einen Stubentiger selbst steuert, ist so gesehen irgendwie paradox, ich würde deswegen für die ultimative virtuelle Sadomaso-Katzen-Herrchen-Beziehung eher „The Last Guardian“ empfehlen, in dem das Vieh NIE das macht, was man gerne hätte. Aber das nur nebenbei.
Die Welt von „Stray“ ist nun eine dystopische, ohne Menschen, aber doch von ihnen gebaut und hinterlassen: Ein dicht gedrängter, asiatisch konnotierter hyperurbaner Betondschungel, voller Neonröhren, abgefuckter Ecken, Hightech-Schrott und abgeplatztem Putz, endlosen Kabelstrangsschlangen, die sich in engen Gassen zwischen Klimaanlagen-Erkern winden, und Robotern mit chinesischen Outfits. Kurzum, die Welt von „Stray“ ist das wiederauferstandene Traumbild der berühmten Kowloon Walled City, und dieses längst abgerissene Stück Großstadt-Slum ist Popkonsumenten in tausend ikonischen Ableitungen wohlbekannt. Seine Reflektion erkennt man in „Blade Runner“ ebenso wie im Sprawl der Bücher William Gibsons, und in den Achtzigern, als die US of A und mit ihnen die ganze „westliche Welt“ bange auf den unheimlichen Aufstieg Japans als wirtschaftliche Supermacht blickten, waren diese Bilder ein Blick in eine klamme Zukunft. „Die Zukunft ist da, sie ist nur nicht gleichmäßig verteilt“, passt da als ewiges Gibson-Zitat perfekt rein.
Klar ist das alles problematisch, denn mal ehrlich: Die Faszination für diese Zukunft zwischen Neon, Ramen und Hightech-Samurai ist klassischer kolonialistischer Orientalismus. Das ach so fremde, exotische Asien zwischen Mythos und Zukunft ist und bleibt meist nicht mehr als Tapete, vor der sich - sowohl in „Blade Runner“ als auch in Gibsons den literarischen Cyberpunk begründenden Romanen - weiße Dudes zu behaupten haben. Kein Wunder, dass Sisi Jiang „Stray“ auch folgerichtig und analog genau das vorwirft: Auch das Katzengame tappt in die Orientalismusfalle des Cyberpunk.
Höchste Zeit, liebe Leserin, lieber Leser, den argumentativen Slide hinzulegen wie Kaneda in „Akira“: Kollege Daniel Ziegener hat „Stray“ attestiert, der Endpunkt der Entpolitisierung von Cyberpunk zu sein; ich halte dagegen - da gab’s schon lang nichts mehr zu entpolitisieren. Cyberpunk, als vor 40 Jahren aktueller Ideenkomplex der Science-Fiction, der eben den Nihilismus und die Anarchie des Punk mit dystopischer Near-Future-Gesellschaftskritik zusammenbrachte, war schon in den Achtzigerjahren am Ende, irgendwie vielleicht einfach auch ein Opfer seiner eigenen ästhetischen Wuchtigkeit.
Die exotischen Bilder eines für westlichen Blick futuristisch-fremden Asiens aus Neon, Slums und Hightech-Fantasien waren ein Pop-Sehnsuchtsraum, der von einer neuen Kaste Nerds begeistert aufgenommen wurde. Der West-Coast-Techno-Optimismus bekam dadurch seinen wildromantischen Goth-Flügel spendiert. Und siehe oben: Wenn rebellische Subkulturen memetisch erfolgreich sind, werden sie zum Mainstream. Was übrig bleibt, sind Oberfläche, Nostalgie und Neonkitsch.
Das heißt nun im konkreten Fall nicht, dass „Stray“ inhaltsleer wäre - es hat als sentimentaler Apokalypsenepilog aber weitaus mehr mit Stanislaw Lems „Robotermärchen“ gemeinsam als mit jenem Genre, aus dem sich das Spiel seinen Orientalismus, Neonreklamen und Hightech-Slum-Ästhetik geliehen hat. Ja, das ist Cyberpunk als Tapete, als Tapete, die trotz ihrer zeitlosen Schauwerte aber, wie oben auf Kotaku verlinkt, auch Ballast aus den 80ern mitschleppt. Macht ja nix. Peinlich wird’s nur, wenn, wie etwa im Fall eines jüngeren Millionen-Bauchflecks mit Cyberpunk im Namen, so getan wird, als wäre abseits des Retrofuturismus-Merch noch die dazupassende, auch schon wieder fast ein halbes Jahrhundert wenig upgedatete Gesellschaftskritik implizit vorhanden. Anarchie sexy! Konzerne böse! Ja, eh.
Dagegen bleiben die Originaltexte aus den 80ern nachgerade erschütternd radikal. „And, for an instant, she stared directly into those soft blue eyes and knew, with an instinctive mammalian certainty, that the exceedingly rich were no longer even remotely human“, wie Gibson seine Heldin in „Count Zero“ , 40 Jahre vor unserer Gegenwart der Popstar-Milliardäre provokant nachdenken lässt. Gedanken wie diese finden sich 2022 kaum in irgendeinem DRM-geschützten Blockbuster des erfolgreichsten Unterhaltungsmediums des Planeten. Face it: Cyberpunk’s dead. Aber die Katze, die ist cool.
Dein
Rainer
Bild: Midjourney, Prompt: death and the maiden in pink latex suit + poster + Cyberpunk, branding, texts, labels