Wien, 2.4.2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
late to the party, aber mangels PS5 habe ich Housemarques Returnal tatsächlich erst vor kurzem, als es endlich für PC erschienen ist, zu spielen begonnen. Falls du es nicht kennen solltest: Returnal ist ein Third-Person-Bullet-Hell-Roguelike-Soulslike, und wenn dir dieses wunderschön zusammenfrankensteinte Wort irgendwas sagt, dann vermutlich, dass du dich eher fernhalten solltest, wenn dir schwere Spiele auf den Sack/die Eierstöcke gehen.
Fürs Protokoll: Ich mag eigentlich keine schweren Videospiele. Ich hab keine Lust, irgendwo 100% Achievements zu grinden, ich spiele, wenn’s denn möglich ist, maximal auf „Normal“, gern auch auf „Easy“, und der Penislängenvergleich bei videospielbezogenen und sonstigen sportlichen Aktivitäten ist mir völlig egal. Dass ich für dies oder das zu wenig hardcore bin, bestätige ich ohne mit der Wimper zu zucken.
Trotzdem liebe ich Roguelikes, ja, auch wegen Permadeath, und bin bekanntlich ziemlich angetan von den Spielen von From Software. Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch, allerdings geht’s da schnell ins verminte Diskursgelände. Zu sagen, Souls & Co wären nicht im klassischen Sinn schwer, sondern verlangten ihrem Publikum eben in höherem Ausmaß Tugenden wie Geduld und Aufmerksamkeit ab, kann leicht dazu führen, dass man sich wie ein Git gud-Hardcore-g4m0r-Armleuchter anhört. Und wer will das schon.
Anyway: Dass diese Spiele (zu) schwer sind, ist die eine Diskussion; dass diese Eigenschaft ihr Publikum nicht gerade inklusiv erweitert, sondern große Teile ausschließt, ist hingegen eine Tatsache. Das ist durchaus Absicht. Anlässlich ebendieser immer wieder geführten Streitgespräche habe ich schon vor einigen Jahren zum Erzählmodell von Hidetaka Miyazaki, Schöpfer von Dark Souls, den Vergleich zu Umberto Ecos idealem Leser bemüht:
Umberto Eco hat darüber geschrieben, wie er sich mit den schwierigen ersten hundert Seiten seines Romanes „Der Name der Rose“ einen in seinen Augen „idealen Leser“ erschaffen wollte: „Welchen idealen Leser wollte ich? Einen Komplizen, auf jeden Fall, einen, der mein Spiel mitspielen würde … Aber zugleich wollte ich mit aller Macht einen Typ von Leser erschaffen, der nach der Initiation ein Opfer werden würde, oder eher: das Opfer des Textes – und der glauben würde, er wolle nichts außer dem, was der Text ihm anbietet.“
Hidetaka Miyazaki hat ebenfalls einen Mechanismus erschaffen, sich den idealen Leser seiner düsteren, vielschichtigen Erzählungen zu formen und ihn sich zum Opfer zu machen, und dieser sind seine Spiele selbst.”
Das kann man natürlich noch immer als aufgeblasene Hardcore-g4m0r-Folklore abtun, andererseits: Es ist das Vorrecht von Genies, auf jeweils eigene Art und Weise so sperrig zu sein, wie es ihnen gefällt.
Allerdings hat mir die Konfrontation mit Returnal, das sich sehr, sehr viel vom fragmentierten Erzählmodell der Soulsborne-Spiele abschaut, ein etwas anders gelagertes Problem dieser Art von Spielen und ihrem Hochhalten der Herausforderung in neuer Deutlichkeit vor Augen geführt. Ich bin noch weit davon entfernt, das Spiel beendet zu haben. Ich habe mir trotzdem nicht verkneifen können, dieses Video-Essay zu dessen Verweisen auf die griechische Mythologie anzusehen.
Das hat mir einerseits bestätigt, was ich schon geahnt, aber noch nicht selbst im Spiel bis zum Ende gesehen hatte: Ja, hier gibt es eine bewundernswert hintergründige Story, die sich in ihrer Verknüpfung antiker Themen und moderner Psychologisierung aufregend doppelbödig mit Themen wie Trauma, Schuld, Vorbestimmung und familiärem Schuldballast beschäftigt. Und ja, wer irgendwas davon mitbekommen will, muss intellektuell imstande sein, die losen Fäden aus gegebener Mythologie, kleinsten Details, Andeutungen und Interpretationen in Text, Videosequenzen und meisterhaftem Environmental Storytelling zusammenzuführen. Returnal ist inhaltlich und thematisch ein intellektuell originelles Rätsel, das, wie alle offenen Kunstwerke, keine eindeutige, einzig richtige „Lösung“, sondern nur Interpretations- und Denkanstöße liefert.
Die schlüssige Interpretation der Figuren, Themen und Motive dieses Spiels ist eine lohnende Aufgabe, die der Bergwerksarbeit in anderen Medien, Film, Literatur, Theater, in nichts an Substanz nachsteht. Was es allerdings braucht, bevor man sich an diese spannende Aufgabe machen kann: die adrenalingetränkten Reflexe eines Eichhörnchens, oder zumindest die Geduld, vor die Entschlüsselung dieser intellektuellen Rätsel tausend Tode zu stellen, die mit dem inhaltlichen Puzzle eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Und habe ich schon erwähnt, dass das Spiel zweimal durchgespielt werden will, bevor die letzten Rätselteile sichtbar werden?
Es ist ein bisschen so, als dürfte man den neuen Film von David Lynch erst fertig ansehen, nachdem man 50 Liegestütze gemacht hat.
Hier beginnt mein damals bemühter Vergleich zum idealen Leser Ecos zu wanken: Eco hat sich durch sein Schreiben einen Komplizen geschaffen, der durch das Überstehen der ersten 100 Seiten bewiesen hat, dass er intellektuell für den Rest der Geschichte bereit war. Returnal schafft sich durch seine Härte hingegen ein Publikum, das durch das Bestehen seiner Prüfungen kein bisschen besser für das Enträtseln seiner alles durchdringenden Story gerüstet ist.
Eigentlich paradox: Returnal ist ein kommerzielles Kulturprodukt, das sich aus Hardcore-Nostalgie ziert, seine außergewöhnliche Qualität einem größeren Publikum zu zeigen, indem es zu seiner Entschlüsselung zwei völlig unterschiedliche Skillsets voraussetzt.
Eine Story wie diese, mit ihrer Mythologie, ihren Rätseln und geschlagenen Haken, hinter der Arcade-Skillschranke zu verstecken, ist eigentlich eine Verschwendung, die mich zumindest traurig macht. Immerhin wird so das Beste begraben, was Videospiele an Erzählung abseits der elendslangweiligen Cutscene-Linearität von Uncharted & Co zu bieten haben.
Dein Rainer
Bild: Midjourney, Prompt: Astronaut in jungle, highly detailed, aesthetic, golden ratio, hyperrealism
"indem es zu seiner Entschlüsselung zwei völlig unterschiedliche Skillsets voraussetzt."
Nicht unähnlich wie beim Schachboxen also.